Man sollte meinen, mehr als zwanzig Jahre nach Erfindung des WWW (1989) sollte auch im Literaturbetrieb bei öffentlichkeitswirksamen und medien-affinen (ORF) Veranstaltungen das Internet eine Rolle spielen. Sollte man. Aus Jux und Tollerei habe ich daher die Webseite des 37. Ingeborg-Bachmann-Wettlesens in Klagenfurt, das in ein paar Tagen beginnt, einer Neue-Medien-Kritik unterzogen:
Es gibt eine Seite mit Linktipps für Webseiten, die allerseits bekannt sind wie der Perlentaucher; als deutsche Onlinemedien werden der Cicero und die Edit genannt. Wo sind die Blogs? Weiterhin findet sich ein Navigationspunkt Multimedia. Hier sind die Videoporträts der eingeladenen Autorinnen und Autoren aus dem hiesigen und den vergangenen Jahren eingestellt, man kann aber auch Pressefotos herunterladen.
Und da beginnt die Nicht-Web-Fähigkeit des Bachmann-Wettlesens: Die Videos sind auf der Webseite eingebettet und können nicht weiterverlinkt werden. Auch gibt es auf der Webseite an keiner Stelle den Hinweis auf den schon seit Jahren benutzten Hashtag auf Twitter, in diesem Jahr #tddl13. Noch zeitgemäßer wäre natürlich ein Twitterstream. Auf Facebook ist der Wettbewerb nicht zu finden, der ORF schon, allerdings nur mit einem Wikipedia-Eintrag, also dort kein Hinweis auf den Wettbewerb, die seit kurzem verfügbaren Autorenvideos oder auf die Sendezeiten im ORF, denn radikalerweise wird die viertägige Veranstaltung auf ORF und 3sat seit 25 Jahren live übertragen, das nennt sich Lesen live. Das ist radikal, weil TV-Schauen heutzutage immer radikaler wird. Daher lädt die schriftstelle zusammen mit Katy Derbyshire von Lovegermanbooks und Fabian Thomas von The Daily Frown (hier sein Klagenfurt-Kompendium mit Highlights der vergangenen Jahre) ins Kreuzberger Gemeinschaftsbüro Glas+Bild, ein. Dort wird am Samstag, 6. Juli 2013, von 9.35 bis 14 Uhr das Wettlesen kollektiv im TV angeschaut: Bachmann Twitter Party. Kommt gerne vorbei, bringt eure Grundversorgung an Essen und Getränken und Handyaufladekabel selbst mit.
Nun könnte man meinen, was soll’s, der ORF will eh das Wettlesen abschaffen. Aber bis es soweit, also 2014 ist, ist erstmal 2013. Auf Facebook wurde schon wild diskutiert, ein wütender Beitrag des österreichischen Bachmannpreisträgers Franzobel schaffte es auf 230 Likes und 114 Shares. Für die, die nicht auf Facebook sind, zitiere ich:
Ja, schafft den Bachmannpreis ab. Bravo. Was wir brauchen, sind Übertragungen von Reifentests der Formel Eins, Berichte von Fußballtrainings, mehr Koch- und Castingshows, Liveschaltungen zum Skiwachseln, Dschungelshows, Promis im Weltall, Musikantenstadel vom Mars, das ist es, was uns fehlt, wonach wir lechzen, aber doch sicher keinen Literaturlesewettbewerb, kein Juroren-beim-Denken-Zusehen, neue literarische Stimmen, Poesie? Gespräche mit Autoren? Diskussionen über Schreibstile und literarische Richtungen? Langweilig! Fad! Das ist doch alles nicht mehr zeitgemäß. Es wird Zeit, dass die neuen Medien ihren endgültigen Sieg über die Literatur auch zur Schau stellen dürfen.
Das gab anderen Anlass zur Frage, was er denn damit meine, wie denn die neuen Medien ihren endgültigen Sieg über die Literatur zur Schau stellen könnten – wo sie doch bisher gar nicht beteiligt sind?
Das britische Institut Austrian Research UK hat derweil proaktiv zu einem Kommentar-Wettbewerb aufgerufen: 500 bis 1000 Wörter zum Thema „THE IMPACT OF GERMAN LITERARY PRIZES & AWARDS ON LITERATURE“ werden gesucht. Mehr Infos gibt es über heide.kunzelmann@sas.ac.uk. Ich habe die Information von der Facebookseite des Ingeborg-Bachmann-Centres for Austrian Literature an der University of London. Vielleicht sollten sie den nächsten Wettbewerb ausrichten. Per Facebook.