Willys Suhrkamp Culture

In der Tübinger Germanistik-Bibliothek im Brechtbau schlug ich einst einen Band der edition Suhrkamp auf, eines dieser einfarbigen Taschenbücher in berühmter Regenbogen-Gestaltung. Der Urheber war natürlich namentlich genannt. Umschlagentwurf: Willy Fleckhaus. Mit Bleistift hatte jemand daneben geschrieben: „Toll, Willy!“ Seitdem muss ich immer, wenn ich an Suhrkamp denke, „Toll, Willy“ denken. Ich könnte auch, „Toll, Siggi“ oder „Toll, Ulla“ denken, aber warum ich das nicht tue, hat damit zu tun, dass Willys Serie einfach das Sinnbild der Suhrkamp-Kultur war. Und immer noch ist. Fast alle Artikel zur aktuellen Suhrkamp-Misere sind mit Willys Farben bebildert. Auch wenn einige Journalisten jetzt versuchen, der neuen Suhrkamp-Kultur (Berlin-Umzug und aktuelles Literaturprogramm mit Schalanksy, Goetz, Kongo-Buch) auf die Spuren zu kommen, wie im Freitag Michael Angele oder The Daily Frown die Handkebücher als eines der letzten Überbleibsel ebendieser Kultur ansieht, so ist das doch vielleicht etwas wenig für einen Verlag, der einst den intellektuellen Diskurs der Republik prägte.

Letzte Etappen lassen sich so zusammenfassen: Popliteratur?, das machte Kiwi mit Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre besser als Suhrkamp mit Thomas Meinecke und Andreas Neumeister. Literaturtradition? findet man in Literaturzeitschriften wie Sinn und Form, neulich auch in der Randnummer mit Höllerer-Gedichten. Gesellschaftliche Debatten, das erledigen die Autoren anderer Verlage. Schirrmachers Netzgedanken oder Hegemanns Blog-Kopimismus oder Stéphane Hessels Aktivismus, nichts davon bei Suhrkamp.

Als Ulla Unseld-Berkéwicz 2007 den Verlag der Weltreligionen gründete, war ich kurz sehr angetan, denn in Zeiten der Säkularisierung unseres Alltags und der Religiösierung vieler Weltkonflikte erschien mir der Fokus auf religiöse Urtexte und wissenschaftliche Erläuterungen sehr mutig, dieser Verlag als fundamental-humanistisches Aufklärungsprojekt fürs 21. Jahrhundert sehr nötig. Ebenso die (2010?) modernisierte, schlanke und elegante Suhrkampwebseite zeigte, dass der Verlag durchaus auf der Höhe der Zeit sein kann, auch wenn das Netz im Verlag wirklich stiefmütterlich behandelt wird. Hier ein Facebook-Quiz, da ein naives Buchblog – da ist der Verlag allerdings auf der Höhe mit anderen Verlage, wie Katy Derbyshire hier hübsch zusammenfasst. Der Umzug nach Berlin 2010, begleitet von einer angemieteten Ladengalerie in der Linienstraße im Sommer mit Lesungen und Djs: ein Versuch, in der Hauptstadt anzukommen, Gastfreundschaft zu zeigen und neue Kontakte zu knüpfen. Auffällig: in dem nur weiß eingerichteten Raum schmückte Willys Farbverlauf die Wände. Als hätte man nur das. Aber was hat man wirklich? Die aktuellen Querelen in der Geschäftsführung muten von außen gesehen wie Kindergarten an. Jeder zerrt an dem Spielzeug, bis es kaputt ist, und bestimmt hat jede Seite auch irgendwie Recht. Aber wenn es so weitergeht, werden die Autoren woanders hinwandern. Was bleibt, ist die Backlist. Und Willy. 

3 Gedanken zu “Willys Suhrkamp Culture

  1. Kleine Fleckhaus-Fanclub-Beobachtung am Rande: Eine neuerliche Ehre für Willi ist doch, dass sein Entwurf, nach dem (von mir) viel beweinten Relaunch der Taschenbücher für die edition suhrkamp digital wieder aufgegriffen wurde. Und ein kleines Stücklein neuer Suhrkamp Culture würde ich bei den von dir genannten Etappen auf die Haben-Seite stellen: Die junge Literatur, speziell in und seit 2006, das hatte etwas von Aufbruchsstimmung: http://www.suhrkamp.de/special_undnichtsanmiristfreundlich/

    • Naja, ich habe mit der edition digital nicht so eine Freundschaft geschlossen. Prinzipiell gefällt mir die Idee der aktuellen Bände, aber was daran ist bitte digital – dass die Bücher AUCH als Ebook erscheinen? Eine Kooperation mit Spiegel Online? Eine solche wird nämlich in jedem Buch erwähnt, aber nicht erklärt. Und was die Willy-Reminiszenz angeht: Das Foto auf jedem Cover erschießt jede Schlichtheit des ursprünglichen Designs. Aber wo ich dir Recht gebe, Brodowsky & Co., ja, ist gut!

  2. Ja, im Digitalen kann da noch mehr passieren, das stimmt. Die Design-Abwandlung mag ich – gefällt mir zum Beispiel besser als die etwas sehr schlichte Umschlaggestaltung der DVD-Reihe, die sich ja auch an Flecky anlehnte; da wurden ja nur die Linien gekrümmt.

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